Die Hambacher Kerwe

Allgemeines

Der Name Kerb,Kerwe, Kirb oder Kirmes bedeutet auf hochdeutsch Kirchweihe, d. h. die Weihe eines Gotteshauses. Die Kerb wird zur Erinnerung an den festlichen Tag der jeweiligen Gemeinde als kirchliches Fest und anschließend als weltliche Feier mit Volksbelustigung auf dem Juxplatz (Jahrmarktbuden, Schießstände und Karusselle aller Art) begangen. In den Loka- len ist Tanzmusik. So ist das in den meisten Orten heute noch üblich. Das kirchliche Fest ist wohl der Anlaß, das weltliche aber nimmt beim Vo1k den ersten Platz ein. Es ist auch ausgedehnter. Es dauert vom Nachmittag des Kerwesonntags bis in die Nacht hinein, dann folgt der Kerwemontag und am nächsten Sonntag die Nachkerb. Es gibt auch Orte, die Kerb feiern, ohne eine Kirche zu besitzen. Hier kann der Anlaß zur Kirchweihe nicht die Einweihung eines Gotteshauses sein. Früher gab es noch nicht die Vielfalt der verschiedenen Vereine mit den vielen Vereinsfesten. Früher war das Gemeinschaftsleben des Dorfes noch einheitlicher. An Dorfgemeinschaften gab es die Nachbarschaften, die Spinnstuben und die Gemeinschaft der Dorfburschen. Nur ganze Kerle konnten in die Burschenschaft aufgenommen werden. Dazu wurde eine Mutprobe verlangt, und bei der Burschung waren bestimmte Aufnahmeriten üblich. Diese Burschengemeinschaften waren die Träger des geselligen und kulturellen Lebens im Dorf. Zur Ausrichtung der Kerwe wurde für die Zeit der Vorbereitung bis zum Ende der Kerb aus der Burschenschaft ein Komitee zusammengestellt, das alles zum Fest Nötige zu besorgen hatte. Dieses Festkomitee war der freiwillige Zusammenschluß der Kerweborscht. Da es in jedem Dorf eine Burschenschaft gab, wollten die Dörfer, die keine Kirche eingeweiht hatten, hinter den anderen nicht zurückstehen. Sie feierten eben auch ihre Kerb.

Die Weihe einer Kirche durch den Bischof geht nach einem bestimmten Ritus vor sich. Von dem Tag an, da eine Gemeinde eine eigene Kirche hat, beginnt für sie ein neuer Zeitabschnitt. Im Leben des Menschen gibt es verschiedene Zeitabschnitte (Geburt, Taufe, Kommunion und Konfirmation, Firmung, Hochzeit, Tod). Im Leben einer Dorfgemeinschaft gibt es im Laufe des Jahres auch verschiedene Abschnitte. Es sind die Jahreszeiten, die die bäuerliche Arbeit bestimmen. Bei Eintritt eines neuen Zeitabschnitts ist von Alters her ein besonderer Brauch geübt worden. Man spricht vom Lebensbrauchtum und vom Jahresbrauchtum. Die heidnischen Begehungen wurden bei der Christianisierung beibehalten, aber mit christlichem Sinngehalt gefüllt.

Im Jahresbrauchtum sind die Frühlingsbräuche (Segensbräuche, Abwehr böser Geister) sehr umfangreich. Heute ist der alte Brauch noch oft erhalten, aber der Sinn ging verloren.

Wo soll man nun die Kerwebräuche einreihen? Soll man sie mit dem ganzen Rest unter die Frühlingsbräuche oder unter die Erntebräuche stellen? Da zu allen Jahreszeiten Kirchen eingeweiht werden, wird dieses Erinnerungsfest auch zu allen Jahreszeiten gefeiert. Die Hambacher Kirche ist zu Mariä Himmelfahrt (15. August) 1898 geweiht worden. Die Hambacher Kerb wird aber als erste Kerb der Umgebung bereits vierzehn Tage nach Ostern gefeiert. Mein Gewährsmann, der 80jährige Adam Knapp aus Hambach, behauptet, die Hambacher Kerb würde abgehalten zur Erinnerung an die Weihe des Vorläufers der jetzigen Kirche, der Kapelle, die ehemals auf dem jetzigen Kirchplatz stand. Diese Kapelle sei im Frühjahr geweiht worden. Die Hambacher Kerb ist als bewegliches Fest an kein bestimmtes Datum gebunden. Vielleicht ist das Fest schon begangen worden, als es in Hambach noch gar keine Kapelle gab. In der Kerwerede von 1950 heißt es, daß Hambach seine Kerwe schon fast tausend Jahre begehe, also von Anfang an. Das ist nun auch wieder fraglich, denn eine Kerwerede fußt ja nicht auf tiefgründiger Geschichtsforschung. Jedenfalls wissen wir nichts über den Ursprung der Hambacher Kerwe.

Im allgemeinen wird heute am Kerwesonntag nach dem feierlichen Hochamt gut gegessen und getrunken. Am Nachmittag kommt Besuch von auswärts: man trinkt ausgiebig Kaffee, dann geht man mit den Kindern auf den Juxplatz. Abends wird im Lokal getanzt. Am Kerwemontag ist Frühschoppen, abends Tanz im Lokal. Dort wird wieder gut gegessen und getrunken. Besonders die Geschäftsleute aus der Umgebung lassen sich einmal sehen.

Wie ein Kirchweihfest sich heute bildet und eine Einheit zwischen kirchlicher und weltlicher Feier darstellt, zeigt das Beispiel der Weststadtkerb in Heppenheim. Am 1. Mai 1960 wurde die Kirche „Erscheinung des Herrn“ vom Mainzer Bischof Dr. Albert Stohr geweiht. Seitdem be- geht diese Pfarrei in der Weststadt ihre Kerb an jedem ersten Sonntag im Mai. Am Vormittag ist feierliches Levitenamt in der Kirche. Am Nachmittag und Abend findet die weltliche Feier in einem großen Festzelt neben der Kirche statt. Um die Kirche herum stehen Schiffschaukeln, Karusselle und Jahrmarktsbuden. Schutzherr der Kerb ist der Pfarrer. Die Feier wird in der Form eines Basars abgehalten. Es ist eine Wohltätigkeitsveranstaltung zu Gunsten der Kirche.

Die Kirchweihfeiern in größeren Städten haben vielfach nicht mehr diese enge Bindung an die kirchliche Feier. Sie bestehen für das Volk nur noch aus Jahrmarktsrummel und Tanzvergnügen. Hier kann es keine Tradition und kein Brauchtum geben. Das ist auf dem Land anders. Wenn sich heute auf dem Land die Berufs- und Siedlungsstruktur auch wesentlich geändert hat, von Grund auf ist der Dörfler konservativ. Er ist in seiner landwirtschaftlichen Arbeit dem Boden und damit der Natur verhaftet. Wo eine Volkstracht oder ein Brauchtum entwurzelt ist und verlorenging, soll man es nicht unbedingt mit Gewalt wieder ans Tageslicht zerren wollen. Wo es aber noch lebt, soll man es zu erhalten versuchen. Die schnellebige Zeit von heute zerstört ohne dies schon sehr viel Gutes, das wert gewesen wäre, erhalten zu bleiben. Hambach hat wahrscheinlich schon seit einigen Jahrhunderten seine Kerwe. Der Hauptkerweborsch pocht fast jedes Jahr in seiner Kerweredd auf diese Tradition. Wo eine sehr alte Tradition herrscht, hat sich auch ein altes Brauchtum erhalten. Professor Eugen Fehrle, mein verehrter Heidelberger Volkskundelehrer, schreibt in der dritten Auflage seines Buches „Deutsche Feste und Volksbräuche“ Seite 78: „Die üblichen Bräuche sind entweder von der Ernte oder dem folgenden Martinsfest übernommen, oder es sind, abgesehen von den eigenartigen Kirchweihtänzen, allgemeine Festsitten. Heute ist die Kirchweihfeier meist sehr eingeschränkt und besteht zum Teil nur noch in reichlichem Essen und Trinken, Tanzen und einem jahrmarktähnlichen Getriebe. Deshalb heißt in Schwaben die Hauptkirchweih zum Unterschied von der Bubekirbe und anderen Kirchweihfesten, die noch neben ihr bestehen, die,Freß- oder Allerweltskirbe’.“

Dr. Heinrich Winter, unser Heimatforscher, hat in dem von ihm eingerichteten Volkskundemuseum im Dachraum des kurfürstlichen Amtshofs zu Heppenheim in einem Schaukasten (Vitrine 19 und 20 unten) einen vollständigen Kerwezug, wie er im Odenwald meist üblich war, modelliert. Hier wird noch überliefertes Brauchtum sichtbar. Im Modell gehen dem Kerwezug zwei Gestalten mit langen Besen voran. Ihre Aufgabe ist wohl, die Straße sauber zu kehren und frei zu machen für den Umzug. Den Fegern folgt der Polizeidiener, dann der Bajaz, danach kommen die Fahnenschwinger. Der Musik voran geht ein Schildträger. Auf dem Schild steht: „Wem is die Kerwe? – Unser!“ Nach der Musik kommt das Kerwepaar mit dem Kerwekranz, der an einer Heugabel hängt. Im ersten Wagen sitzt der Kerwepfarrer mit Talar, Barett und Beffchen. Hinter dem Wagen hängt an einer Stange ein Scheuerkorb; darin sitzt der Teufel. Dann folgen der Schimmelreiter und einige Doppelgestalten. Auf dem nächsten Wagen waschen einige Wäscherinnen ihre Wäsche in einem großen Zuber. Ein weiterer Wagen zeigt, wie ein Bursche rasiert wird, der nächste, wie ein Bursche vom Hufschmied beschlagen wird. An diesem Wagen hängt das Kerwerad, ein Wagenrad, das sich an einer schrägen Achse dreht. Zwei Burschen sitzen darauf und halten das Kerwerad in Schwung. Einmal ist der eine oben, dann wieder der andere (Sonnenrad). Zu Fuß folgen Jäger mit Larve vor dem Gesicht, Hinkelskäufer und Kinderchaise, in dem ein Kerweborsch liegt. – Dieses Modell soll einen Einblick geben, wie ein Kerwezug im allgemeinen aussieht, welche Figuren üblich waren oder sind.

In den verschiedenen Ortschaften variiert das natürlich. In Hambach kommen bestimmte Figuren nicht vor. Es waren nie vorhanden: Bajaz, Schimmelreiter, Doppelgestalt, Kerwerad und die Wagen mit den Initiationsriten (= alte Aufnahmebräuche in die Burschenschaften).

Wie verläuft nun die Hambacher Kerwe?

Dr. Winter und ich haben unabhängig voneinander und in verschiedenen Jahren bei verschiedenen Gewährsmännern Befragungen angestellt. Die Ergebnisse dieser Befragungen und eigene Beobachtungen sollen im folgenden angeführt werden.

Die Hambacher Kerwe findet vierzehn Tage nach Ostern statt und wird „Brennesselkerb“ genannt, da es an diesem Tag Brennesselgemüse gab. Wir haben also die Brennesselkerb im sogenannten Tal der Rosen.

Vorbereitung

Etwa an Ostern versammelt sich die Burschenschaft von Hambach zur Aufstellung der vorübergehenden Gemeinschaft der Kerweborscht. Manchmal ist das Angebot sehr groß, manchmal will sich niemand für die Sache hergeben. Aus der Schar der Kerweborscht (7 – 10) wird der Hauptkerweborsch gewählt, der die Kerweredd vorzutragen hat. Zum Hauptkerweborsch wählt man den ältesten oder fähigsten Burschen, denn meist muß er sich seine Rede selber verfassen, wenn sie nicht gemeinsam aufgesetzt wird. Der Hauptkerweborsch hat nach Adam Knapp nie die Bezeichnung „Kerwepfarrer“ getragen. Er war auch nie wie ein Pfarrer verkleidet. Er trägt Schwenker und Zylinder. Die Kerweborscht nehmen sich einige Kerwe- mädchen zur Hilfe. Ihre Aufgabe ist es, die Kerwekränze zu binden. Aus den Kerwemädchen wird dann die Kerwekönigin gewählt (Anlehnung an die Wahl der Maienkönigin am 1. Mai, was aber in Hambach als Brauchtum nicht geübt wird).

Kerweausgraben

Die Kerwe beginnt am Sonntag nachmittag etwa um 14 Uhr. Sie endet am Dienstag morgen. Vor dem Festzug wird die Kerwe gesucht und ausgegraben. Einige Kerweborscht gehen in Verkleidung vors Dorf auf eine Wiese, meist oben im Tal, und suchen mit einer Meßlatte die Kerwe an der Stelle, wo sie im Vorjahr begraben wurde. Der Sucher hat einen Schlapphut auf und trägt eine Laterne. Der Ausgräber hat eine Hacke. Mit der hackt er am Fundort den Boden auf. Nach Gewährsmann Helfert wurden im Vorjahr eine Flasche Wein, ein Knochen und ein Stück Kuchen als Kerwesymbol vergraben. Angeblich wird beim Ausgraben die gleiche Flasche Wein wieder gefunden und in einen mit bunten Bändern geschmückten Korb gelegt. Ge- währsmann Knapp kann darüber keine Angaben machen. Nach seinen Aussagen ist die Kerwe verkörpert durch den Kerwekranz.

Kerwekranz

Dieser Kerwekranz wird von den Kerwemädchen in der Woche vor der Kerwe in einem Privathaus im Beisein der Kerweborscht hergestellt aus Buchs, Fichtenspitzen und papiernen oder seidenen Musterungsbändern. Der Kranz ist rund, ohne Bügel und wird an vier Schnüren an eine Stange (nicht an eine Heugabel) gehängt und an ihr vom Kranzträger im Zug zur Wirt- schaft getragen. Vor dem Abholen der Kerwe ist der Kranz an die Stelle des Ausgrabens gebracht worden. Wenn der Kranz an der Stange hängt, ist die Kerwe eröffnet – der Kerwezug kann beginnen. Mittlerweile hat sich auch die Musik zur Ausgrabungsstelle begeben, und der Zug formiert sich. Als Schlachtenbummler springen schon die ganze Zeit die Schulkinder auf Wiese und Straße herum.

Bekanntmachung

Dem Zug voraus eilt der Polizeidiener mit der Ortsschelle und schellt folgende Bekanntmachung aus: 
 
„Ich komm gerannt unn geb bekannt
im ganze Land, einschließlich Schloßberg und Sand:
Ehr liewe Leit – Im Rousedal is Kerwe heit!
Deshalb loßt eich net verdrieße,
dut all die Kerwe richtig genieße!
Unn wann eier Geld nimmäi langt, 
bumbte emol uff ere annere Bank. 
 
Diese Bekanntmachung ist nicht jedes Jahr gleich. Im Jahr 1954 lautete sie:
 
„Bekanntmachung“ 
 
Ehr liewe Gäscht, ehr liewe Leit!
Es is souweit.
Die Kerb is g’funne, sie kumme glei runne
mit Kranz unn Spruch, dann macht aone druff ! 
Bleibt lang bei uns im Rousedal,
ehr hett die Waohl! 
Trinkt recht Woi unn Bier,
eßt Weck unn Woscht,
des wünsche eich die Kerweboscht!“ 

Im Jahre 1957 lautet die Bekanntmachung in der ersten Strophe gleich. In der zweiten ist sie etwas abgewandelt. Man kann daraus auf schlechtes Wetter schließen.

„Schee is bei uns im Rousedal,
deß merkt emol! 
Vun dem Werrer loßt eich net vedrieße,
dut all die Kerb mol richtig genieße!
en gure Abeditt un en grouße Doscht,
des wünsche eich die Kerweboscht.“ 
Der Spruch des Polizeidieners im Jahr 1958 lautet ganz anders:

„Bekanntmachung! 
Ich tu euch hiermit zu wissen und kund –
daß die Kerb g’funne worn is in dieser Stund! 
Damit is der Auftakt gäwwe zum Fröhlichsein 
bei Weck unn Woscht unn aa bei Wein – 
De Feschtzugg bewegt sich in Kürze durchs Ort. 
Denoch häiert all des Kerwewort! 
Unn wann aa alles gäit in Scherwe 
– Sie werd werrer schee – die Brennesselkerwe!“

Der Kerwezug 
 
Nach den Aussagen von Herrn Helfert sprengt ein Reiter durchs Dorf zur Stelle des Ausgrabens, dann zurück zu dem sich aufstellenden Zug, macht dort Meldung und setzt sich an die Spitze des Zugs. Hinter ihm kommen vier Reiter, zu zweien nebeneinander. Sie sind ein bißchen farbig gekleidet. Hinter den Reitern schreitet der Bursche, der die Kerb ausgegraben hat. Er trägt über dem Rücken eine Hacke, die verkehrt auf den Stiel geschoben ist. Das geht zurück auf ein Frühlingsbrauchtum. Die bösen Geister wollen das Wachstum und die ländliche Arbeit stören. Sie zerstören auch die landwirtschaftlichen Geräte. Damit nun die Hacke nicht von den bösen Geistern vernichtet werden kann, macht sie der Bauer als solche unkenntlich, er steckt die Hacke verkehrt auf den Stiel. Im Frühlingsbrauchtum findet man vielfach das Umkehren aller Dinge, was auf denselben Gedanken zurückzuführen ist. Die Geschlechter werden vertauscht, was unten ist, wird nach oben gekehrt. Der Sinn der Verkleidung zur Fastnacht wird klar, wenn man daran denkt, daß einem die bösen Geister nichts anhaben sollen. Wenn sie mich verfolgen, kennen sie mich in meiner Verkleidung nicht und lassen mich in Ruhe. Deshalb ist der Kerweausgraber in Lumpen gekleidet. Manchmal geht er auch bucklig.

Leute mit der Meßlatte, die die Strecke abmessen, sind erst später in den Zug gekommen, waren aber bereits vor 1914 vorhanden.

Die Fahnenschwinger sind kerwemäßig bunt angezogen. Ihre Gesichter sind aber nicht bemalt. Sie schwenken zum Takt der Musik ihre Fahnen. Vielleicht geht dieser Brauch zurück auf das Schwingen von Fackeln oder brennenden Scheiben, einen alten Fastnachtsbrauch. Soweit der Schein der geschwungenen Fackeln reicht, soweit geht der Segen auf dem Feld. Man macht also Flurumgänge und schwingt Feuer. Das Feuer ist Analogiezauber für die Sonne. Sowie die geschwungene Fackel das Feld bescheint, so soll es die segenbringende Sonne auch tun und damit das Wachstum fördern. Das Schwingen von Fahnen ist in einem Umzug weniger gefährlich. Es mag auf den alten Feuerbrauch zurückgehen.

Die Musik folgt den Fahnenschwingern zu Fuß. Dann kommen die Kerweborscht zu Fuß in Zweierreihen, vorne in der Mitte der Hauptkerweborsch mit zwei Begleitern links und rechts. Die Kerweborscht sind festtäglich gekleidet mit Hut oder ohne Kopfbedeckung. An der linken Brust steckt ein Kerwesträußchen. Hinter den Kerweborscht folgen die Kerwemädchen,ebenfalls zu Fuß in Zweierreihe.

Unmittelbar vor der Musik geht der Kranzträger mit dem Kerwekranz an der Stange.

Ein Brautpaar ist ebenfalls öfter im Umzug. Die Braut geht im bunten Rock mit Bändern im Haar; auch der Bräutigam ist bunt herausgeputzt.

Schornsteinfeger ist schon im Zug mitgegangen, ohne daß er sich brauchmäßig betätigt hätte.

Bajasse und Kerwerad gibt es im Hambacher Zug nicht. Helfert hat schon ein Sonnenrad gesehen bei einer Kommödiantentruppe, die in Hambach Vorstellungen gab.

Die Doppelgestalt (Frau trägt auf dem Rücken einen Mann. Die laufende Gestalt ist echt, die getragene ist ausgestopft.) ist im Hambacher Kerwezug nicht vertreten. Zuweilen ist diese Gestalt an Fastnacht in Hambach gesehen worden. Wagen wurden früher nur selten mitgeführt. Herr Helfert konnte sich erinnern, daß einmal auf einem solchen Pfannenflicker dargestellt wurden. Der Wagen war ringsum mit Pfannen und Kannen behängt. In der Wagenmitte saßen Burschen, die als Pfannenflicker verkleidet waren und Radau machten. Das Lärmen dient wieder dazu, böse Geister abzuhalten oder zu vertreiben. Nach Helfert sind auch schon Begebenheiten aus dem Dorfleben beim Kerwezug dargestellt worden. Auch nach den Aussagen von Adam Knapp gab es früher keine Wagen im Zug. Auch die Kerweborscht liefen. Sie hatten einen guten Anzug an und trugen ein Sträußchen im Knopfloch. Der Hauptkerweborsch hatte einen Zylinder auf. Später kamen dann die Wagen dazu.

Die Burschen und die Mädchen fuhren in verschiedenen Wagen. Wesentlich war dann ein Wagen, auf dem in einem Kessel Brennesseln gekocht wurden. Neben dem Kessel stand eine handgetriebene Häckselmaschine zum Brennesselschneiden. Im Kerwezug wurden mehrere Kränze mitgeführt, für jede Wirtschaft, wo Tanz war, einen. Es wurde in vier Wirtschaften getanzt. Nach A. Knapp verteilten sich die Kerweborscht auf die Wirtschaften. Nach anderen Aussagen hatte jede Wirtschaft ihre eigenen Kerweborscht. Ich glaube aber, das würde dem Wesen der Dorfgemeinschaft widersprechen. Die Kerweredd oder der Kerwespruch, wie es in Hambach heißt, wurde nur vor der Hauptwirtschaft gehalten. Bei den spärlichen Belegen, die mir Bürgermeister Tilger leihweise überließ, fand ich die Aufstellung eines Kerwezugs mit den Namen der Funktionsträger. Hier wird die Aussage des Herrn Knapp bestätigt, daß mehrere Kränze im Zug mitgeführt wurden. Dieser Kerwezug (auf dem Zettel ist keine Jahreszahl vermerkt) hatte folgende Nummern: 1. Polizeidiener – 2. Kehrer – 3. Fahnenschwenker – 4. Kerwesucher – 5. vier Reiter – 6. Radfahrer – 7. Spielmannszug – 8. Kerwekränze – 9. Kerweburschen (es ist ein Fahrer angegeben, also fuhren sie) – 10. Rosenwagen mit Rosenkönigin (in diesem Jahr war es Irmgard Leist) – 11. Kerwewagen (es ist nicht angegeben, was auf ihm dargestellt wurde) – 12. Brennesselwagen. – Im Jahre 1950 gab das „Kerwekomitee“ eine Festschrift heraus, ein Faltblatt, das einen Willkommensgruß enthielt, auf der zweiten Seite eine Erklärung über das Hambacher Kirchweihfest und eine Bekanntgabe, daß in diesem Jahr der Kerwezug mehr als Festzug gestaltet sei. Auf den letzten Seiten der Festschrift ist der Kerwespruch abgedruckt.

Festzugsfolge: 1. Herold – 2. Fahnenschwenker – 3. Vorreiter – 4. Kerwekomitee – 5. Radfahrergruppe – 6. Reitergruppe – 7. Fahnenschwenker – 8. Bürgermeister und Ortsälteste – 9. Erste Musikkapelle – 10. Kerwekränze – 11. Kerweburschen – 12. Sieben Schwaben – 13. Rosenwagen – 14. Schneewittchen und die sieben Zwerge – 15. Wagen des Handwerks – 16. Rotkäppchen – 17. Fahnenschwenker – 18. Zweite Musikkapelle – 19. Jörg vum Verwald – 20. Kerwewagen – 21. Hänsel und Gretel – 22. Jagdwagen – 23. Dornröschen – 24. Rebstockwagen – 25. und viele andere.

Dieser Kerweumzug, der sich hochtrabend „Festzug“ nennt, sprengt den Rahmen. Man sollte einen Kerwezug mit den alten herkörmlichen Gestalten aufstellen und nicht meinen, man müßte einen Festzug mit möglichst vielen Wagen gestalten und damit der Verstädterung verfallen. So schön auch die Wagen mit den Märchenmotiven aussehen mögen, sie haben in einem urwüchsigen, brauchtumverhafteten Kerwezug nichts verloren. Das ist keine Aufwärtsentwicklung. Das ist Fremdes, Städtisches ins Dorf hereingeholt. Wenn man heute noch einen Kerwezug gestalten will, dann muß man die in den Kerwesprüchen so vielfach gerühmte Tradition bewahren, dann muß man rückwärts schauen und fragen, wie es früher war. Nur so kann man das alte Kulturgut und Brauchtum bewahren. Ein Kerwezug muß organisch gewachsen sein. Er kann sich wohl entwickeln und abwandeln, aber er muß im Rahmen des Brauchtums bleiben. Ein Kerwezug ist kein Fastnachtszug nach städtischer Art. Er soll und kann es nicht sein! Der echte Hambacher Kerwezug wird nicht jedes Jahr das gleiche Aussehen gehabt haben. Einmal werden mehr, einmal weniger Figuren vertreten gewesen sein. Der Zug zieht durchs ganze Dorf, dreht am Dorfende und geht im Gegenzug zur Hauptwirtschaft, wo die Leiter mit angebautem Rednerpult oder ein Podium mit bekränztem Geländer steht. Während des Umzugs herrscht sowohl bei den Umzüglern als auch bei den umstehenden Zuschauern viel Frohsinn und Humor; alles gibt seiner Freude laut Ausdruck. Immer wieder ertönen die Rufe: „Die Kerb is unser unn die Mädchin aa! 
Unn wer danze will, der sucht sich aa!“

Kerwespruch

An der Hauptwirtschaft macht der Kerwezug halt. Der Hauptkerweborsch besteigt die Leiter oder sein Podest und schlägt sein großes Buch auf. Ihm zur Seite stehen zwei Begleiter, die ihm notwendige Handreichungen machen, wie Wein eingießen oder den Kerwekranz außen aufhängen. Der Kerwespruch enthält Dorfereignisse des Jahres und Rügen über ungenügende Zustände im Dorf. Der Kerwespruch ist gereimt und in Mundart abgefaßt. Die Einleitung besagt, daß jetzt Frühling ist, daß Ostern vorbei und die schöne Zeit der Hambacher Kerwe angebrochen ist. Alle Erschienenen aus nah und fern werden begrüßt und willkommen geheißen. Dann leitet der Spruch über zu den Dorfereignissen. Am Schluß der Rede kommt die Aufforderung zum Tanz. Zwischen den Absätzen des Spruchs macht der Redner eine Pause und trinkt einen Schluck Wein, die Musik spielt einige Takte, das Brautpaar und die Kerweborscht und Kerwemädchen tanzen im Freien. Die jeweilige Pause wird mit einem Trinkspruch eingeleitet. Dieser Trink- spruch wiederholt sich bei jeder Pause entweder wörtlich oder er wird abgewandelt. Ich erinnere mich an einen Kerwespruch, lang vor dem Krieg, da war der Trinkspruch starr und ungewandelt nach jeder Strophe des Kerwespruches und lautete:

„Kamerad, schenk ein, es muß einmal getrunken sein!“

Meistens aber variieren diese Zwischensprüche.

Nicht nur der Kerwezug 1950 tanzt aus der Reihe, auch der Kerwespruch tut es, denn er behandelt nicht die Ortspolitik, sondern die Bonner Politik nimmt sich der Redner aufs Korn. Es kommt auch zwischen den Absätzen keine Pause, kein Trinkspruch und keine Musik.

Im Kerwespruch 1953 lauten die Zwischensprüche:

1. „Es is egal, ob me unne oufange oder owwe, 
erscht werd emool es Glas gehowwe.“ (Musik) 
2. „Die Musik speelt jetzt Nummer noi, 
es muß emool getrunke soi.“ 
3. „Die Musik konn jetzt aaner speele, 
ich muß mer mool die Gorgel eele.“ 
4. „Die Musik speelt jetzt Nr. fufzäi. 
es muß doch a e bissel was druffgäi.“ 

In diesem Kerwespruch klagt der Redner zum Schluß wie folgt: 
„Früher, uff de Kerb – do frog de Schorsch – 
war alles gemaocht vun de Kerweborsch – 
Hait gäit aofach kaoner drou, 
hait fängt de Boijemaoschte ou. 
Wann der net on alles denke deht, 
mancher die Kerb vegesse deht. 
Mit de Kerweboscht, des is en Jammer, 
noch net die paar bringt me zamme! 
Äwwer es anner Johr werd net gemuschtert un gewoche, 
do wänn se aofach oigezoche. – 
Un daß die Mädchin zufreere sinn, 
werd jederi e Keenigin. 
Jetzt wißte alles, un jetzt gäits lous, 
mer Klaone dunn jetzt emool grouß! 
Me brauche kao Anoose, 
unn jetzt dut die Musik unn ich aone bloose!“

Im Kerwespruch 1954 bleibt der Zwischenspruch konstant nach jeder Strophe, Er heißt:

Die Musik macht jetzt aoner druff, 
unn mer gebt er mool die Flasch eruff!

Der Schlußsprich gibt eine andere Ankündigung:

„Bevor mer oizihe in de Saal
singe mer des Lied vum Rousedaal.“

Aus dem Kerwespruch 1955 heißt der konstante Zwischenruf:

„Gäb mer mool des Fläschel Woi,
sunst schloofe mer die Lait noch oi!“

Der Inhalt der Rede berührt den Fortschritt und die Mechanisierung in der Landwirtschaft. Der Kerweredner spricht in seinen Mundartversen davon, daß „die Ackerschlepperepidemiepesteritis“ ausgebrochen sei und bald keine „Knoddel“ mehr „uff de Gaß“ zu finden seien. In einer weiteren Strophe ist von der Holzversteigerung die Rede. Zum Schluß gedenkt der Redner noch des Textdichters mit den Worten:

„Un äi mer gehn zum Tanz – 
danke mer noch unserm humorvolle Eugen Franz. 
Mög er uns noch lang erhalte bleibe 
als Kerwereddeschreiwe.“ – (Musik!)

In den Belegen fehlt das Jahr 1956. Ob da kein Kerwezug war, ist mir nicht bekannt.

1957: In der zweiten Strophe klagt der Kerweredner über die Schwierigkeiten bei der Vorbereitung zum Fest. Mit Müh und Not bekäme man die Kerweborscht zusammen. Noch schlimmer sei es bei der Aufstellung der Kerwemädchen. Sie wären alle zu schüchtern, um auf den Kerwewagen zu steigen, und keine sei bereit gewesen, die „Rousedalskenischin“ zu sein. – Die nächste Strophe prangert die Preissteigerungen an. Eine weitere Strophe spricht davon, daß es jetzt in der Gemeinde bald einen großen Sportplatz gäbe. Die Zwischensprüche sind sehr abwechslungsreich:

1. „Die Kehl is trocke, de Mage is leer, 
drum reich mer emool des Fläschel her!“
2. „Geb mer emool die Flasch, des länglich Ding, 
Gott sei Dank, es is noch ebbes drin.“ 
3. „Doch zuvor noch en Schluck vum Bergsträßer Woi, 
nadierlich nur mit Musik muß es soi.“ 
4. „Die Musik konn aoner speele, 
un ich muß mer die Gorgel eele.“ 
5. „Drum ehr Sportler, uff eier spezielles Wohl! 
Ehr drinkt doch es ganze Johr kahn Alkohol!“ 
6. „Die Musik kann jetzt aoner bloose, 
unn ich duh jetzt des Gläsel oustoße!“ 
7. „Ich drink emool vum Haambecher Woi, 
unn ehr stimmt mit de Musik ins Lied oi!“ 
8. „Die Musik speelt jetzt Nr. noi, 
es muß emool getrunke soi!“ –

1958: Die Trinksprüche beziehen sich immer auf den Inhalt der vorangegangenen Strophe:

1. „Des is Tradition – die duht in Haombach net sinke – 
unn ich muß erscht emool trinke. 
2. Schenkt mer ewer werrer mool oi, 
dann uff’ sou was muß getrunke soi!
3. Mer drinke uff den doure Haos – 
auf, füllt mer mool moi leeres Glaos! 

4. Doch ich will werrer mol die Gorgel schmeern, 
schenkt oi – sunscht muß der Peter den Woi ausleern. 
5. Des warn emool korz die Preise der Polizei, 
unn meer trinke nochemool,gebührenfrei’. 
6. Auf, singt recht schee,Im Tal der Rose’, 
die zwaa unn ich, meer dun mool aon bloose.“ –

1959: In dieser Kerweredd werden die Verkehrsverhältnisse im engen Tal gebrandmarkt. Man kann in dieser Enge keine Kerb mehr abhalten. Sie soll in Zukunft auf dem Sportplatz, oben auf der Höhe, gefeiert werden. Die drei Zwischensprüche:

1. „Die Musik soll jetzt emool aon speele, 
unn ich duh emool moi Gorgel eele. 
2. Jetzt schenk mer hottig emool oi, 
dann dadruff muß getrunke soi! 
3. Die Musik kann vor zwei Mark aone speele,
dann ich war net debei,
drum duh ich dodruff aone trinke glei.“

Am Schluß seiner Rede weiht der Hauptkerweborsch den Kerwekranz mit Wein und hängt ihn im Tanzsaal auf. Das Glas zerschmettert er auf dem Boden. Die Weihesprüche von 1950 lauten:

„Sou, ehr liewe Kärwelait, 
jetzt werd Kärb und Kranz geweiht: 
Dir, Kranz des Frohsinns und der Freude, 
im prächtigbunten Farbenkleid, 
weihn wir Rosentäler heute 
unser Fest mit Freud und Leid. 
Den ersten Tropfen nehme hin, 
zum Zeichen uns’rer Treue, 
die wir mit Rosentäler Sinn 
geloben dir aufs Neue. 
Beim zweiten wollen wir dich bitten: 
Laß unser Fest in Ruh verlaufen – – 
Und laß uns auch in Ruh den dritten 
zu guterletzt noch selber – trinken!“

Die Aufforderung zum Tanz heißt in diesem Kerwespruch:

„Sou, eher liewe Kärweleit, 
Jezz waahs jedermann Bescheid, 
Also mätte noi ins Dreiwe, 
Kaoner däff hait aobseits bleiwe! 
Wem is die Kärb? Unser!“

Kerwetanz

Mit dem Ende des Kerwespruchs ist auch der Kerwezug vorüber. Er löst sich auf. Der Auftakt zum Kerwetanz ist damit gegeben. Die Kerweborscht haben das Recht, den ersten Tanz mit ihren Kerwemädchen zu tanzen. Der Kerwetanz geht ohne Programm vor sich. Heute werden moderne Tänze gespielt. Früher waren üblich: Hopsawalzer, Schleifwalzer, Dreher, Schottisch, Polka, Mazurka usw.

Gewährsmann Helfert kann sich an einige Tanzlieder erinnern. Ein Tanzlied lautet:

„Herr Schmitt, Herr Schmitt, 
Was bringt das Gretchen mit? 
Einen Schleier oder Federhut, 
Der steht dem Mädchen gar so gut.“

Es gab auch Tanzeinlagen, wie Kissentanz und Korbtanz. Das trug zur Unterhaltung bei. Auch die Nichttänzer hatten dabei ihre Kurzweil.

Der Betrieb in den Gasthäusern dauerte bis etwa drei Uhr morgens. Die meisten Leute gingen dann nach Hause. Viele Burschen aber legten sich in der Wirtschaft irgendwo zum Schlafen nieder und tranken dann gemeinsam Kaffee in der Wirtschaft. Das wird heute wohl nicht mehr der Fall sein.

Kermemontag

Morgens zwischen 9.00 und 10.00 Uhr geht ein Musikumzug durchs Dorf und bringt Ständchen. Dem Zug voran gehen die Fahnenschwinger. Zwei Kerweborscht tragen einen Korb zum Eiersammeln. Auch Schinkenfleisch wird geheischt. Die Musik spielt vor jedem Haus, von dem man sich etwas erwartet, ein Ständchen. Vor dem Haus tanzen die Burschen mit den Hausbewohnerinnen. Die Kerwemädchen ziehen nicht mit um. Die Heischer erhalten von den Hausbewohnern außer den Eiern und dem Schinken einen Trunk und Geld.

Im Umzug am Kerwemontag war manchmal auch der Bär dabei. Der Bursche, der den Bär darstellte, war ganz in lange Strohseile eingebunden, auch der Kopf war ganz mit Stroh bedeckt. Um seinen Leib war eine Kette gelegt, die sein Führer hielt. Der Bär mußte tanzen und brummen. Wenn er Durst hatte, tauchte er seinen Kopf in die Laufbrunnen, die es früher in Hambach noch gab. Manchmal legte er sich auch an den Bachrand und tauchte seinen Kopf zum Trinken in den Bach.

Die Figur des Strohmannes, die in Hambach „Bär“ genannt wird, geht auf das Frühlingsbrauchtum zurück. Der Strohmann stellt den Winter dar. Im Sommertagszug kämpft er mit dem Sommer und unterliegt. Oder der „Winter“ wird verbrannt. Im Hambacher Kerwebrauch kommt nur noch die Figur vor. Der Sinn ist verlorengegangen.

Der „Bär“ wird auch nicht bekämpft oder verbrannt. Nach dem Umzug gehen die Kerweborscht mit den geheischten Eiern in die Wirtschaft und lassen sich von den Wirtsleuten Speck und Eier backen und verzehren sie gemeinsam. Um 15.00 Uhr beginnt dann wieder die Tanzmusik. Die Bauern arbeiten an diesem Tag nicht. Sie gehen mit ihren Frauen wieder zum Tanz oder lassen es sich in der Wirtschaft bei ausgiebigem Essen und Trinken gut sein.

Kerwedienstag

Um 9.00 Uhr bildet sich wieder ein Zug, um die Kerb zu begraben. An dieser Angelegenheit nehmen nur die Kerweborscht teil. Die Fahnenschwinger fehlen, denn es handelt sich um eine traurige Angelegenheit. Die Musik besteht nur aus einem Ziehharmonikaspieler. Der Kerbsucher hat jetzt keine Hacke, sondern eine Grabschaufel bei sich und in einem Korb eine Flasche Wein, Knochen und ein Stück Kuchen. Der Kerwekranz wird im Begräbniszug nicht mitgeführt, er bleibt im Tanzsaal hängen. Hinter dem Kerbsucher gehen die Trauergäste. In der Jugend des Gewährsmannes Adam Helfert haben sich daran zahlreiche alte Männer von 60 Jahren und mehr in ihren Werktagskleidern beteiligt. Beim Zug durchs Dorf hinaus zur Begräbnisstätte hat einer der alten Männer vorgebetet. Seine „Litanei“ lautete:

„Warn mer aach schun beim Rousewärt? –“ 
„Iwwerall, nor doo noch nett! –“ 
„Warn mer aach schun beim Löwewärt? –“ 
„Iwwerall, nor doo noch net! –“ usw.

Auf diese Weise wurden sämtliche Hambacher Wirtschaften aufgeführt. Zu dieser Zeit gab es deren sechs. Die „Litanei“ ging weiter:

„Ein Stückchen Kuchen“ – „Bitte für uns!“ 
„Ein Stückchen Wurst“ – „Bitte für uns!“ 
„Eine Flasche Wein“ – „Bitte für uns!“ usw.

Es wurden in der „Litanei“ nacheinander alle Kerwegenüsse aufgezählt.

So kam man an die Stelle, wo das Loch ausgehoben war. Alle stellten sich darum und greinten wie die Kinder. Der Hauptkerweborsch hielt eine Trauerrede und tröstete die Trauergäste damit, daß man im nächsten Jahr wieder käme und die Kerb wieder ausgraben würde. Dann zogen alle mit Zieharmonikamusik in die Wirtschaft zurück. Dort bewirtete der Wirt seine Gäste frei. Diese Feier dauerte oft bis Mittwoch früh. Dieser Bericht stammt aus der Erinnerung des Gewährsmanns Adam Helfert.

Gewährsmann Adam Knapp bestätigt, daß beim Kerbbegraben nur Zieharmonikamusik zu hören ist statt einer ganzen Musikkapelle. Nach ihm findet keine Leichenrede statt. Es wird ein Loch gemacht und Wein hineingeschüttet.

Daß das Kerbbegraben nach der ersten Schilderung leicht ausarten konnte, daß dabei die kirchlichen Gebete und liturgischen Handlungen nachgeäfft und ins Lächerliche gezogen wurden, liegt auf der Hand. Es ist auch zu verstehen, daß ein empfindsames Herz oder jemand, der gerade kurz zuvor einen lieben Angehörigen verloren hatte, zutiefst verletzt wurde durch derartig grobe Scherze. Kein Wunder, wenn in Ortschroniken zu lesen ist, daß derartige grobe Scherze vom Pfarrer oder Ortsoberhaupt verboten wurden. Die Äußerungen des Gemeinschaftslebens auf dem Dorf sind sehr oft derb und roh. Diese Äußerungen und Handlungen entspringen einem Gefühl von Mutwillen, der auf Festgelagen, wo auch immer, gezüchtet wird. Diese derben Äußerungen in Gesängen, Worten und Werken wollen nie beleidigen und verletzen, sie wollen nur Betrieb machen und den Frohsinn steigern. Wenn im Brauchtum des Kerwebegrabens Entgleisungen immer wieder zu befürchten sind, dann ist es besser, wenn man gleich das Brauchtum begräbt.

Aber, ist das Brauchtum bei dem Begräbnis eines Menschen immer pietätvoll gewesen? Pfarrer Dr. Werner Geiger in Lindenfels weiß in seinem Büchlein „Totenbrauch im Odenwald“ viel davon zu erzählen.

Nachkerb

Jetzt ist das Brauchtum vorbei. Die Hambacher Nachkerb unterscheidet sich früher und heute in keiner Weise von einer ganz gewöhnlichen Tanzmusik. Heute, wo bei jeder Gelegenheit Tanzmusik ist, ist die Nachkerb durch nichts aus den vielen anderen Tanzgelegenheiten herausgehoben.

Nachwort

Wie lange die Hambacher Kerwe mit ihrem Brauchtum besteht, wissen wir nicht. Die Hambacher Kerwe wird wohl als Fest bestehen bleiben. Sie ist in den Jahresfestkreis auf den zweiten Sonntag nach Ostern, sowohl für die kirchliche als auch für die weltliche Begehung, eingereiht. Wie lange aber der alte Volksbrauch das ganze Kerwegeschehen noch bestimmt, weiß man nicht.

Fortschritt in der Technik, im Wirtschaftsleben, im kulturellen Leben und im Verkehr muß sein. Manchmal trauert man aber doch einer lieben, alten, zur Gewohnheit gewordenen Einrichtung nach, die der Fortschritt robust zur Seite geräumt und pietätlos ausgerottet hat. Die Einrichtung der Mittelpunktschulen z. B. bietet zweifellos große Vorteile für die Erziehung und Bildung der heranwachsenden Jugend. Auf der anderen Seite aber wird mit ihrer Schaffung ein Kulturträger aus dem Dorf herausgenommen. Die Schulentlassenen, die aus der Mittelpunktschule kommen, sind bereits im Dorf entwurzelt. Sie werden nicht mehr organisch in die Dorfgemeinschaft der Burschenschaft hineinwachsen.

Wo gibt es solche Burschenschaften überhaupt noch? Wo soll oder kann sich aus ihr noch die Gemeinschaft der Kerweborscht bilden? Wer soll dann die Kerb mit ihrem Brauchtum ausrichten? Die alten Gewährsmänner, die man befragt und die sich noch an so viel Altes, nicht mehr Vorhandenes, erinnern, sagen übereinstimmend: „Früher war es schöner“.

In Hambach steht jetzt oben, neben dem Sportplatz, die Mehrzweckhalle. Diese Mehrzweckhalle soll, so sagt ihr Name, Festhalle, Theater, Tagungsraum, Sporthalle usw. sein. Die Kerwe soll künftig auch in dieser neuen Halle gefeiert werden. In einem Kerwespruch heißt es auch, daß man in der Enge des Tals bei dem heutigen Verkehr keine größeren Feierlichkeiten mehr abhalten könne. Man bedenke aber, wenn man den Juxplatz, den Kerwespruch und Kerwetanz aus dem Dorf herausnimmt und das Fest, das seinen Mittelpunkt auch im Dorfmittelpunkt hatte, oben auf die Höhe verlegt, ob das ein Fortschritt ist, ob dann auch die auswärtigen Besucher, die zufällig an der Wirtschaft, wo der Kerwespruch vorgetragen wird, vorbeikommen und stehenbleiben, ob diese Besucher auch eigens zum Anhören des Kerwespruchs dort hinaufgehen. Die Fahnen werden oben auf einem Platz wehen, der früher Acker oder Wiese war. Unten aber, im Dorf, wird man nichts mehr vom Fest merken. Das Dorf wird still und verlassen daliegen. Kein gewohntes Festtreiben wird mehr im Tal der Rosen herrschen. Es wird ein neues, verstädtertes Treiben im neuen, ungewohnten Raum geben. Damit wird sich viel Altes und Vertrautes verlieren. Ob das Neue, das an die Stelle des Alten tritt, gleichen Wert besitzt, möchte man mit Recht anzweifeln. Das dürfte kein Fortschritt sein, das ist höchstens ein Hinüber- wechseln in neue, nicht erprobte Formen, wohl gar ein Hinüberschwenken in fremde Lager, ein Ubernehmen fremden Kulturgutes, vielleicht gar aus einem Land, das keine Tradition kennt. Man sollte bei aller Bejahung eines neuen Festhauses überlegen, wie man in die Neuerung gerade das altgewohnte Kerwefest sinnvoll hinüberretten könnte.

Die Hambacher Kerb hat ihre Tradition. Sie ist es wert, in ihrem Brauchtum erhalten zu bleiben. Warum sollte man hier nicht guten alten Wein in neue Fässer füllen können? Die Hambacher Kerb eröffnet den Reigen der ländlichen Kirchweihbegehungen. Möge ihr ein unverfälschtes Volkstum und Brauchtum erhalten bleiben!

Anmerkung: Text nach Alfred Wessel aus dem Buch „800 Jahre Hambach“ von 1965

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